Film Alltagsräume – Zwischenbericht 1992/93
Hansjochen Schwieger:
Ich habe eine Vorliebe, wenn ich die Baugeschichte betrachte, für die Romanik. Dauerhaft und geometrisch einfach. Quadrat, Kreis, natürlich liegt das auch ein bisschen in der Zeit, mit einfachen Formen zu arbeiten. Aber eben vieles, was wir hier sehen in unserer gebauten Umwelt, ist eben Dekoration. Und Dekoration ist mir wirklich unangenehm.
Wir versuchen immer dem speziellen Ort gerecht zu werden und auch dem Bauherrn zu dienen, so dass der Bauherr das Gefühl bekommt, er hat sein Gebäude, sozusagen seine Behausung, sein Kleid, seine Lösung für eine bestimmte Aufgabe bekommen. Trotzdem kann man, wenn man unsere Bauten sieht, erkennen, dass immer ein bisschen Schwieger mit dabei ist.
Messingdreherei Täfler Transfeld
Folgt man dem Blick von der erhöht verlaufenden Straße auf die sich darunter erstreckende Anlage des Metallwerks Täfler, so entdecken wir einen Baukörper, der sich in die topografischen Hauptlinien der Landschaft einschmiegt und dessen satteldachartige Lichtbänder die Landschaft als Höhenlinien nachzuzeichnen scheinen.
Das Maß der Landschaft ist gefunden. Die sanften Hügel und das weithin sichtbare Dach des Werkes sprechen einen verwandten Dialekt. Das vertraute Giebelmotiv der Region bringt einen angenehmen häuslichen Maßstab in den Industriebau, vielleicht sogar die Anmutung einer Siedlung.
„Im Maße mit der Landschaft wuchs dein Haus, nicht höher als der nahe Baum es sind.“ Stefan George, der esoterische Dichter, schrieb so im Jahre 1900. Welche Aktualität dieser nachdenklichen Forderung einst zuwachsen würde, hat er damals gewiss nicht geglaubt. Maß und Einfühlung sind hier, wie selten in anderen Industriebauten, in ausdrucksvollem Bild gültig formuliert.
Adams Ladenbau GmbH, Göttingen
Hansjochen Schwieger:
„Ich möchte dauerhaft sein. Ich möchte, wenn ich in 20 Jahren einem Gebäude vorbeigehe, für dieses Gebäude noch geradestehen können und nicht, dass man sagt, naja, das ist 1966 entstanden oder 1972. Heute würde man es ja ganz anders machen. Ich möchte ganz bewusst nicht modisch sein. Auch wenn wir Ladeneinrichtungen planen, strebt man eher vor, das Zurückhaltende, das eher Zeitlose, das Dauerhafte zu machen, vernünftige Materialien zu nehmen. Echt ehrlich einfach.“
Heinz Peter Adams (Bauherr):
„In den Räumen haben wir nicht nur unsere Fabrikationsstätte, sondern auch eine permanente Ausstellung hochmoderner, das darf ich wohl so sagen, Ladenbaueinrichtungen. Und darüber hinaus haben wir einige Verwaltungsabteilungen hinter der Fassade.
Sie sehen hier in die Ausstellung hinein, Die Architektur von Jochen Schwieger macht es unseren Innenarchitekten leicht, in seinem Gebäude eine gute permanente Ausstellung entsprechend eines Messestandes zu gestalten.“
Dilinski, Bad Lauterberg
Hansjochen Schwieger:
„Ein ganz wichtiger Aspekt der Architektur ist es, den menschlichen Maßstab aufzunehmen, ihn in die Architektur zu integrieren und daraus ihre Aussage zu formen.
Eine Tendenz unserer Bauten ist ja, den Rohbau so attraktiv zu machen, dass man nicht mehr viel an Ausbau braucht. Bedeutet natürlich, dass man einen sehr sorgfältigen Rohbau konstruieren und auch ausführen muss.
Bei den Wandoberflächen haben wir eben gern Sichtmauerwerk innen. Bei Gipskartonwänden kommt keine Tapete darauf, keine Raufaser, kein Glasfies, gar nichts. Das wird gespachtelt und bleibt glatt.
Das spart Geld und sieht für meinen Geschmack eben auch schöner aus.
Dieser Gedanke, eher zeitlos zu bauen, bedeutet ja auch, dass man mit dem Gebauten länger umgehen kann und es nicht nach zehn Jahren abreißen muss, und etwas Neues bauen muss, was das für eine enorme Energieverschwendung ist, Materialverschwendung ist.
Meine Bauherren haben ganz konkrete Vorstellungen, sie wollen preiswert, termingerecht bauen und es darf zusätzlich noch ordentlich ansprechend aussehen, aber immer unter dem Diktat des spitzen Rechenstiftes.
Wir versuchen schon Persönliches hereinzugeben und eine eigene Aussage für jedes Gebäude zu machen, weil wir auch denken, dass die Menschen, die dort arbeiten, einen Großteil ihres Lebens eben dort verbringen und das soll auch schön sein und das spielt ja eigentlich im modernen Industriebau eine immer größere Rolle.
Institut für Geologie und Dynamik der Lithosphäre, Universität Göttingen
Hansjochen Schwieger:
Dieses neue Forschungsgebäude des Geologischen Instituts ist ein Erweiterungsbau. Sachlich, nüchtern, ökonomisch. Man könnte es preußisch nennen, wären da nicht die spielerisch eingestreuten 45-Grad-Diagonale.
Dietrich-Bonhoeffer-Haus:
Neu und alt werden zu einer städtebaulich komponierten Figur. Distanz und Brückenschlag. Der selbstbewusste Richtungswechsel des Neubaus schafft eine Verbindung, die akzeptiert wird und gefällt.
Evangelisches Gemeindehaus, Bovenden
Hansjochen Schwieger:
Ein ländliches Anwesen? Einzig der kleine, spitztürmige Dachreiter deutet auf die Funktion des Baus. Weitflächige Satteldächer, eingebettet unter großen Dachüberständen, ein lebendiges, körperhaftes Fassadenspiel.
Die einladende Geste des Hauses gilt dem Besucher.
Die harmonische Verknüpfung von Halle, Saal und Gruppenräumen verleihen dem Gebäude ein Klima, bei dem öffentliche Veranstaltungen und private Feiern ihre eigene Identität behaupten können und zum gemeinsamen Leben und Erleben einladen.
Kindergarten Stadt Göttingen-Wende
Hansjochen Schwieger:
Die Wahrnehmungen im Kindesalter zählt man zu den wichtigsten Prägungen des Menschen. Der Kindergarten in Weende mutet an wie eine kleine Ansiedlung. Fünf Häuser gruppieren sich um eine Mutter, die zentrale Halle.
Die Geborgenheit der ruhigen, verschieden geneigten Dächer bietet an, Unterschlupf zu suchen. Die sanft gespreizte Lage der Häuser gewährt den Kindern eine sichere Anlaufstelle, wenn sie beim Spiel ihre Welt erobern. Unterschiedliche Gebäude, baulich verbunden, behaupten ihre körperliche Individualität.
Beeindruckend deutlich wird dies im Spielbereich.
Der Maßstab ist das wesentlichste Kriterium dieses Gebäudes der kleinen Leute. Er setzt eine nachvollziehbare Ordnung in das Maß der Dinge. Mauerziegel, Wohnung, Haus und Ansiedlung, später dann die Welt.
Wohnhäuser
Hansjochen Schwieger:
Wenn Sie hier durch die Straße gehen und sagen, das ist ein Wohnhaus, das vom Architekten geplant ist? Das erkennen Sie daran, dass ein Platz für eine Mülltonne da ist, ein Briefkasten da ist, der eben nicht hinterher daran geklebt wird.
Also auch die Liebe zum Detail und eben das Einfühlen in die Aufgabe, was braucht einer, der in einem solchen Wohnhaus wohnt. Und das versuchen wir natürlich in der gleichen Weise auf den Industriebau oder auf ein Wohn- und Geschäftshaus umzusetzen.
Adams am Wall, Göttingen
Heinz-Peter Adams:
1985 hat Jochen Schwieger für uns das Haus in der Wenderstraße umgebaut. Dieses wunderschöne denkmalgeschützte Haus befand sich in einem desolaten Zustand. Für den Umbau und für die Renovierung des Hauses haben wir den BDA-Preis erhalten. Geehrt fühlten wir uns durch den Satz, den der niedersächsische Ministerpräsident sagte, ein Geschenk an die Bürger und eine Verneigung vor der Nachbarschaft.
Reitemeier, Rosdorf
Hansjochen Schwieger:
Liebhaberei ist schon das Bauen mit alter Bausubstanz. Das macht mir wahnsinnig viel Spaß. Und die schönste Aufgabe, die ich mir vorstellen könnte, wäre, eine alte Burg oder ein Schloss zu renovieren. Das kann ruhig eine Ruine sein, die Ruine wieder aufzubauen. Das wäre die Aufgabe, die ich mir gut vorstellen könnte. Aber nicht so in dem historisierenden Sinne, um zu gucken, wie war das denn? Wie stelle ich das wieder her? Sondern wie kann man mit der alten Bausubstanz etwas Neues, auch etwas Zeitgemäßes machen, ohne den Denkmalcharakter zu verletzen und ohne Zeugen der Vergangenheit zu zerstören.